Ich bin durchaus kein Pessimist. Raumfahrt ist tatsächlich möglich; außerirdische Wesen sind auf der Erde gelandet. Das weiß ich. Raumschiffe durchkreuzen das All zwischen Millionen Planeten und Sonnensystemen, aber von uns werden keine unter ihnen sein. Auch das weiß ich. Und alles wegen eines lächerlichen Irrtums.
Ich will es erklären.
Es war eigentlich Bart Camerons Irrtum, und man muß Bart Cameron kennen, wenn man verstehen will, wie sich alles zugetragen hat. Er ist der Sheriff von Twin Gulch, Idaho, und ich bin sein Deputy. Bart Cameron ist ein ungeduldiger Mann, und am ungeduldigsten wird er, wenn er seine Einkommensteuererklärung ausarbeiten muß. Neben seinem Amt als Sheriff hat er nämlich noch einen Gemischtwarenladen, einige Anteile an einer Schaffarm, eine kleine Rente als Kriegsbeschädigter und noch ein paar Dinge dieser Art. Das alles macht seine Steuerberechnung ziemlich kompliziert.
Es wäre nicht so schlimm, wenn er für diese Arbeit einen Steuerberater zuziehen würde, aber er besteht darauf, es selbst zu tun, und das macht ihn zu einem verbitterten Mann. Ab Mitte April ist er ungenießbar.
Daher war es ein Unglück, daß die fliegende Untertasse ausgerechnet am 14. April 1966 landete.
Ich sah sie herunterkommen. Mein Stuhl stand auf zwei Beinen gegen die Wand des Sheriffbüros zurückgelehnt, und ich betrachtete durch das Fenster den Sternhimmel, unschlüssig, ob ich in's Bett gehen oder meine Illustrierte weiterlesen und mir dabei Camerons Flüche anhören sollte. Sie bildeten die Begleitmusik, wärend er seine Zahlenkolonnen zum hundertsiebenundzwanzigstenmal nachrechnete.
Zuerst sah es wie eine Sternschnuppe aus, aber dann verbreiterte sich die Lichtspur zu zwei feurigen Schweifen, die wie Raketenabgase aussahen, und das Ding ging elegant und geräuschlos nieder. Ein dürres Blatt hätte beim Aufprall lauter geraschelt. Das Ding setzte unglaublich sanft auf, und zwei Männer stiegen aus.
Ich war unfähig, etwas zu sagen oder zu tun. Ich saß einfach da und stierte hinaus, als sähe ich irgendeinen sonderbaren Spuk.
Cameron blickte nicht auf.
Dann wurde an die Tür geklopft, die wir nicht abgeschlossen hatten. Bevor einer von uns reagieren konnte, ging sie auf, und die zwei Männer aus der fliegenden Untertasse traten ein. Ich hätte sie für Stadtleute gehalten, wenn ich ihre fliegende Untertasse nicht beobachtet hätte. Sie trugen anthrazitgraue Anzüge mit weißen Hemden und dezent gemusterten Krawatten. Sie hatten schwarze Halbschuhe an den Füßen und hielten schwarze Homburger in den Händen. Beide waren von ziemlich dunkler Gesichtsfarbe und hatten braune Augen und schwarzes, gewelltes Haar. Ihre Gesichter machten einen ernsten, fast feierlichen Eindruck, Sie waren mittelgroß und ähnelten einander sehr.
Ich brachte vor Angst den Mund nicht auf und saß wie gelähmt.
Aber Cameron blickte einfach auf und runzelte die Stirn, als die beiden Männer hereinkamen. Normalerweise wäre ihm beim Anblick dieser städtischen Kleider vor Lachen der Kragenknopf vom Hemd geplatzt, aber er stand noch so im Bann seiner Einkommensteuererklärung, daß er nicht einmal lächelte.
Er sagte: "Was kann ich für Sie tun ?" und ließ seine rechte Hand auf die Formulare klatschen, damit die Fremden sehen konnten, daß er nicht viel Zeit hatte.
Einer der beiden Männer trat vor. "Wir haben Ihre Leute seit langer Zeit beobachtet." Er sprach langsam und mit sorgfältiger Betonung jedes Wortes.
"Meine Leute ?" fragt Cameron. "Ich habe nur eine Frau. Was hat sie getan ?"
Der Mann sagte: "Wir haben diesen Ort für unseren ersten Kontakt ausgewählt, weil er abgelegen und friedlich ist. Wir wissen, daß Sie hier der Leiter sind."
"Ich bin der Sheriff, wenn Sie das meinen. Was haben Sie auf dem Herzen ?"
"Wir waren sorgfältig bemüht, uns Ihrer Kleidermode anzupassen und Ihre Umgangsformen anzunehmen."
"Das soll meine Kleidermode sein ?" Cameron schien erst jetzt die Anzüge zu sehen.
"Die Kleidermode Ihrer herrschenden Klasse, wollte ich sagen. Wir haben auch Ihre Sprache erlernt."
Man konnte sehen, wie es bei Cameron zündete. "Sie sind Ausländer ?" fragte er. Cameron hielt nicht viel von Ausländern, weil er nur im Krieg als Soldat welche kennengelernt hatte, aber er gab sich im allgemeinen Mühe, fair zu sein.
Der Mann aus der fliegenden Untertasse lächelte höflich. "Ausländer? Ja, das sind wir wohl. Wir sind Venusianer. Unserer Heimat ist ein sehr wässeriger Ort, verglichen mit dem Ihren."
Ich hatte mich gerade soweit erholt, daß ich meine Lider auf- und zuklappen konnte, aber das ließ mich von neuem erstarren. Ich hatte die fliegende Untertasse gesehen. Ich hatte miterlebt, wie sie gelandet war. Ich mußte es glauben. Diese Männer - oder diese Wesen - kamen vom Planeten Venus.
Aber Cameron zwinkerte nicht einmal mit den Augen. "All right", sagte er. "Hier sind wir in den USA, hier haben alle Leute die gleichen Rechte. Ich stehe Ihnen zu Diensten. Was kann ich für Sie tun?"
"Wir möchten Sie bitten, sofort Vorbereitungen zu treffen, daß die wichtigsten Männer Ihrer USA, wie Sie es nennen, hierher kommen. Wir wollen mit diesen führenden Männern über die Aufnahme in unsere Organisation verhandeln."
Camerons Gesicht wurde allmählich rot. "Wir sollen Ihrer Organisation beitreten ? Wir gehören schon zur UNO und Gott weiß was sonst noch für Organisationen. Und ich soll den Präsidenten hierher holen, wie ? Gleich jetzt ? Nach Twin Gulch ? Durch ein Telegramm ?" Er blickte mich an, als erwartete er ein Lächeln auf meinem Gesicht, aber ich konnte nicht reagieren, weder so noch so. Vielleicht wäre ich gerade noch fähig gewesen, hinzufallen, wenn jemand den Stuhl unter mir weggezogen hätte.
Der Mann aus der fliegenden Untertasse sagte ernst: "Eine beschleunigte Erledigung wäre wünschenswert."
"Wollen Sie auch den Senat ? Oder den Bundesgerichtshof ?"
"Wenn es notwendig ist, Sheriff."
Das gab Cameron den Rest. Er hob seine Einkommensteuerformulare hoch und schmetterte sie wieder auf die Tischplatte zurück. "Ich habe keine Zeit für Klugscheißer und ihre dummen Witze !", schrie er. "Erst recht nicht, wenn sie Ausländer sind. Wenn Sie sich nicht gleich zum Teufel scheren, werde ich Sie wegen Ruhestörung einlochen und nicht wieder herauslassen."
"Sie wollen, daß wir gehen ?" fragte der Mann von der Venus.
"Und zwar sofort ! Gehen Sie zum Teufel oder wo immer Sie hergekommen sind, und lassen Sie sich nicht wieder blicken. Sie haben hier nichts verloren, und niemand will Sie sehen !"
Die beiden Männer blickten einander an, und ihre Gesichter zuckten auf eine merkwürdige Weise.
Dann sagte der Mann, der auch zuvor gesprochen hatte: "Ich sehe, daß Sie wirklich den dringenden Wunsch haben, allein gelassen zu werden. Es ist nicht unser Art, uns selbst oder unsere Organisation Leuten aufzudrängen, die uns oder sie nicht wollen. Wir werden Ihre Zurückgezogenheit respektieren und Sie verlassen. Wir werden nicht zurückkehren. Wir werden einen Warngürtel um Ihre Welt legen, und niemand wird ihn überschreiten, und Ihre Leute werden diese Erde nie verlassen müssen."
"Mister, ich habe jetzt genug von diesem Unsinn", schnarrte Cameron, dessen Gesicht nun dunkelrot angelaufen war. "Ich zähle bis drei..."
Sie wandten sich um und gingen, und ich wußte, daß alles so war, wie sie gesagt hatten. Ich wußte es, weil ich zugehört hatte, während Cameron nichts weiter als seine Einkommensteuer im Kopf hatte. Ich konnte mich in diese Männer hineinversetzen, und ich wußte, daß sie eine Art Zaun um die Erde legen, uns auf diesem Planeten einsperren und andere Bewohner des Weltalls am Kommen hindern würden. Es war mir vollkommen klar.
Und als sie gegangen waren, gewann ich meine Stimme zurück - zu spät. Ich schrie: "Cameron, um Gottes willen, sie kommen aus dem Weltall ! Warum hast Du sie weggeschickt ?"
"Aus dem Weltall ?" Er starrte mich an.
"Da, sieh doch !" schrie ich. Ich weiß nicht, wie ich es schaffte, denn er ist gute dreißig Pfund schwerer als ich, aber ich packte ihn am Hemd, riß ihn vom Stuhl und zerrte ihn zum Fenster, wobei mehrere seiner Hemdknöpfe absprangen.
Er war so verblüfft, daß er keinen Widerstand leistete, und als er soweit zu sich gekommen war, daß es aussah, als wollte er mich niderschlagen, merkte er, was draußen vorging und er starrte nun seinerseits.
Sie stiegen in die fliegende Untertasse, diese beiden Männer. Der Flugapparat saß groß, schimmernd und gewaltig am Rande unserer armseligen Landstraße. Im nächsten Augenblick startete er in einer Staubwolke. Er hob leicht wie eine Feder vom Boden ab. An seiner Unterseite glühte es gelborange, und die Glut wurde immer heller, während sich die fliegende Untertasse rasch entfernte, kleiner und wieder zu einer allmählich im Weltraum verblassenden Sternschnuppe wurde.
Und ich sagte: "Sheriff, warum hast Du sie weggeschickt ? Sie hätten wirklich den Präsidenten sprechen wollen. Jetzt werden sie nie wieder zurückkommen."
"Ich dachte, sie wären Ausländer", verteidigte sich Cameron. "Sie sagten, sie hätten unsere Sprache lernen müssen. Sie hatten einen merkwürdigen Akzent."
"Du bist ein Schlauberger. Ausländer !"
"Sie sagten, sie wären Ausländer, und sie sahen wie Italiener aus. Ich hielt sie für Italiener."
"Wie konnten sie Italiener sein ? Sie stellten sich als Venusianer vor, als Bewohner des Planeten Venus. Ich habe es gehört. Genau das sagten sie."
"Vom Planeten Venus." Seine Augen wurden rund und groß.
"Sie haben es gesagt, Du Trottel. Sie nannten es einen wässerigen Ort oder so etwas."
Aber es war eben ein Irrtum, ein dummes Versehen, wie es jedem unterlaufen kann. Nur hat es dazu geführt, daß die Erde nie am Weltraumverkehr teilnehmen wird und daß wir nie wieder Besuch von Venusianern bekommen werden. Und alles wegen diesem Tölpel Cameron und seiner Einkommensteuer !
Denn er flüsterte: "Venusianer ! Als sie von ihrer wässerigen Heimat sprachen, dachte ich, sie meinen Venedig ! Ich hielt sie für Venezianer, verstehst Du ?"
Diese Seite ist von Andreas Walter zusammengetragen und gestaltet.
Andreas Walter