Weitere Anstöße für seine Gotteslehre erhielt Luther durch die Auseinandersetzung um das Abendmahl. Gegen ihn wurde argumentiert: Wenn Jesus zur Rechten Gottes sitzt, dann kann er nicht leiblich gegenwärtig sein. Nur geistige Wirkungen können von ihm ausgehen. Luther erkannte, daß die »Rechte Gottes« kein geographischer Ort ist: »Die Rechte Gottes ist überall.« Mit »sitzend zur Rechten Gottes« ist die Teilhabe an der Machtvollkommenheit Gottes gemeint. Jesus Christus kann danach, wie und wann er will und du rch welche Mittel er will, in den Gang der Geschichte hineinwirken. Er kann dementsprechend auch »in, mit und unter« dem Brot und Wein des Abendmahls in seiner Gemeinde,da sein. Die Erkenntnisse, die Luther im Bedenken der Abendmahlslehre aufgegangen sind, haben Folgen für die Art, in der wir von Gott reden und denken. Zwei einander widersprechende (paradoxe) Aussagen sind notwendig:
- Gott steht der Welt als der Schöpfer gegenüber (Transzendenz).
- Gott geht ganz in die Weit ein und begegnet hier den Menschen (Immanenz).
Im Zeichen der scheinbaren »Wohnungsnot Gottes« gewinnen Überlegungen Luthers eine ungeahnte Aktualität. Gegenüber der Behauptung Zwinglis, Christus wohne im Himmel und könne deshalb im Abendmahl nicht leiblich gegenwärtig sein, vertrat Luther die Auffassu ng, Christus teile die Allgegenwart (Ubiquität) Gottes und könne daher an allen Orten, wo sein Sakrament gefeiert wird, anwesend sein.
»Die Wohnungsnot Gottes, die mit Giordano Brunos Entdeckung der Unendlichkeit des Raumes (so wie sie Giordano Bruno verstand) gegeben war, hat die Christenheit für ein Weilchen in Denkverlegenheiten gebracht; aber selbstverständlich hat die Theologie an de r allgemeinen Geistesgeschichte teilgenommen und den Begriff der Transzendenz neu formuliert. Ja, noch mehr: Martin Luther hat - nicht von der Naturwissenschaft, sondern von der Abendmahlslehre herkommend - mit seiner Konzeption von der Ubiquität des >erhö hten Christus< die überkommene Raumvorstellung schon kühn durchbrochen und den Gedanken der Allgegenwart Gottes konsequent zu Ende gedacht. Das Sputnikargument hätte also schon bei Luther keinen Eindruck mehr gemacht. Gottes Jenseitigkeit besteht nicht dar in, daß er innerhalb des dreidimensionalen Raumes ein an diese Welt angrenzendes Quartier hätte. >Jenseits< - diese Präposition kann jetzt nur noch Gleichnis sein für die Tatsache, daß Gott sich in keinerlei unserer gegenständlichen Weit zugehöriges Koordi natensystem einordnen läßt« (Handreichung der VELKD).
Auch das Neue Testament weiß um den Zusammenhang von Leiden und Tod mit Schuld und Sünde. Aber von einem automatischen Vergeltungs- und Belohnungshandeln ist nicht die Rede. Im Gegenteil! Christus durchbricht den Teufelskreis von Vergeltung und Strafe, ind em er lieber leidet und stirbt, als seine Feinde zu strafen und ihre Bosheit mit Vergeltung zu beantworten. So wird sein Leiden zum höchsten Ausdruck der Liebe Gottes, die sich verhöhnen und verletzen läßt und doch nicht aufhören will, Liebe zu sein. In de n Einsetzungsworten des Abendmahls ist dieser Gedanke festgehalten, und im Essen und Trinken von Brot und Wein wird der Mensch aufgenommen in die grenzenlose Liebe Gottes. Christus ist gestorben, um die Liebe Gottes zu bezeugen und zu vermitteln; er hat di e Schuld der Menschen mit Vergebung beantwortet. Darum bekennt die christliche Gemeinde von ihm: Er ist für uns gestorben, er hat für uns gelitten.
Daß Leiden und Schuld in einem Zusammenhang stehen können, macht Jesus deutlich, wenn er die Heilung einer Krankheit mit der Vergebung beginnt (Mk 2,1-12) oder wenn er zu einem Kranken sagt: »Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Ärgeres widerfahre« (Joh 5,14).
Aber ebenso warnt Jesus davor, Krankheiten, Nöte und Leiden auf eine bestimmte Schuld zurückzuführen: »Meinet ihr, daß die achtzehn, auf welche der Turm in Siloah fiel und erschlug, seien schuldiger gewesen als alle anderen Menschen, die in Jerusalem wohne n? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen« (Lk 13,4-5). Jesus sieht in der Krankheit nicht die Strafe für eine konkrete Schuld, sondern einen Hinweis auf Gottes Erwählung: »Es hat weder dieser (Blindgeborene) gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm« (Joh 9,3).
Ein greifbares Zeichen der Zuwendung Gottes ist der Segen mit Handauflegung. Man legt dabei die Hand auf die Stirn des Sterbenden und spricht dabei die Segensworte. Es gibt einen eigenen Sterbesegen, den »Valetsegen« (Abschiedssegen), mit dessen Worten man den Sterbenden in die gnädige Hand Gottes übergibt. Den Valetsegen kann man auch sprechen, wenn der Tod bereits eingetreten ist (siehe unten).
Eine große Stärkung für den Sterbenden ist es, wenn er - gegebenenfalls mit den Angehörigen - das heilige Abendmahl empfangen kann. Das Abendmahl vergegenwärtigt ihm den Herrn, der für ihn gestorben ist und der ihn nun durch das dunkle Tal des Todes beglei ten möchte. Man bezeichnet es daher als » Wegzehrung«. Dieses Sakrament sollte dem Kranken schon während der Krankheit immer wieder angeboten und gespendet werden. Denn in der Einsamkeit, die die Krankheit mit sich bringt, bedarf der Kranke besonders der G emeinschaft mit Christus und mit der Gemeinde. Manche Christen betrachten das Abendmahl als Sterbesakrament und schieben es daher oft hinaus, bis es zu spät ist. Der Pfarrer erscheint dann wie ein »Todesbote«. Christi Liebe im Sakrament zu empfangen, bedeu tet gerade nicht, sterben zu müssen. Aber weil wir diese Gabe im Leben brauchen, brauchen wir sie erst recht im Sterben. Der Kranke sollte das Abendmahl möglichst bewußt mitfeiern können. Das bedeutet aber nicht, daß er im vollen Besitz seiner geistigen Kr äfte sein muß. Es genügt, wenn er merkt, was geschieht, und wenn er in der Lage ist, das Sakrament mit seinem Munde zu empfangen. Kann er nur noch flüssige Nahrung schlucken, so beschränkt sich der Pfarrer auf die Spendung des Kelches; Gottes Wort und Gebe t, das Ergreifen der Hände und der unter Handauflegung gesprochene Segen, Beichte und Abendmahl sind die Hilfen, mit denen die christliche Gemeinde ihren Sterbenden dient.
1. Verkündigung: Abschnitte aus der Bibel über den Willen Gottes in der Ehe werden vorgelesen und erläutert.
2. Versprechen: Die Brautleute bekennen sich zur Ehe als zu einer Ordnung, die im Willen Gottes ihren Grund und Maßstab hat, und versprechen, einander zu lieben und zu ehren, »in guten wie in bösen Tagen, bis der Tod euch scheidet«. Zum Zeichen ihres Versp rechens können sie die Ringe wechseln und einander die Hand geben.
3. Fürbitte: Die Gemeinde bittet Gott, daß er dem Paar die Kraft zur Liebe und zur Treue schenke.
4. Segen: Unter Handauflegung - und das heißt leiblich spürbar - wird dem Paar der Segen Gottes zugesprochen: Gott will ihnen die Kraft geben, die sie von ihm erbeten haben. In der kirchlichen Trauung bekennen die Eheleute, daß sie ihre Ehe unter Gottes Ge leit und in der Gemeinschaft der Kirche führen wollen. In der Weitergabe des Glaubens an die Kinder leisten die Eheleute einen Beitrag zur Verkündigung der Kirche. Mit der Trauung kann das Heilige Abendmahl verbunden werden. Es schenkt ihnen die Liebe Chri sti und schließt sie mit Christus und untereinander zusammen.
Zu den häufig vorkommenden Vorstellungen gehört auch die Sehnsucht nach »garantiertem Heil«. Man will sich seiner Sache sicher sein und sucht deshalb Richtlinien, die man einhalten kann und deren Einhaltung dann auch das Heil garantieren. Jede Art der Gese tzesfrömmigkeit hat ihre Heimat in dieser Vorstellung, daß man sichere Maßstäbe für richtiges Verhalten habe. Dieses Denken kennt keine Konfliktsituationen und versagt daher vor allem an der Frage der Rechtfertigung aus Gnaden allein ->416ff. »Eine höchst verderbliche Irrlehre«, bemerkt ein Mormonendogmatiker über diese reformatorische Zentralbotschaft. Jede Versammlung der Zeugen Jehovas kann an der großen Tabelle in ihrem Königreichssaal ablesen, »wie sie bei Jehova Gott steht«. An Stelle der demütigen Fr eude des Beschenkten tritt das Wissen um die eigene Leistung.
Die Vorstellung vom »garantierten Heil«, manifestiert sich auch in, den Lehren über die Taufe und das Abendmahl. Beide werden zu einem Akt des Menschen. So wird die Kindertaufe als »Säuglingsbesprengung« abgelehnt, weil das Kind ja nicht als Handelnder (nä mlich sich Gott Hingebender) auftreten kann.
»Die Taufe ist das Zeugnis des Bündnisses, das der bußfertige Sünder mit seinem Schöpfer eingeht, wobei jeder gelobt, fortan zu versuchen, die Gebote Gottes zu halten... Die Heiligen der Letzten Tage treten der Kindertaufe entschieden entgegen; sie glauben sogar, daß sie ein Frevel vor Gott ist. Wer dem Worte Gottes glaubt, kann niemals ein kleines Kind als strafbar böse ansehen. Ein solches unschuldiges Wesen bedarf keiner Einführung in die Herde, denn es ist niemals aus ihr entwichen; braucht keine Vergeb ung der Sünden, denn es hat nie eine begangen« (J. E. Taimage).
Ein Zeuge Jehovas kann sich in seiner Gemeinschaft zum zweiten Male taufen lassen, wenn er in der ersten Taufe »noch nicht die richtige Erkenntnis hatte«. Das Abendmahl wird zur reinen Erinnerungsfeier, da ein solcher »Heilsrationalismus« die Gegenwart des Leibes und Blutes Jesu Christi im Sakrament nicht fassen kann. Letztlich greift diese Vorstellungsbeschränkung auch auf das Geheimnis der göttlichen Trinität. über, die in eine Triade (bei den Mormonen) oder in einen Gott-Vater-Monotheismus (Zeugen Jehova s) aufgelöst wird. Hierin, wie in der Reinheitssehnsucht ihrer Gemeinden, die »jeden Sünder« ausschließen, zeigen sich die Sekten als legitime Erben der von ihnen häufig verteufelten Aufklärung des 18. Jahrhunderts.
Die Predigt legt einen biblischen Text für die Gegenwart aus. Während des Liedes nach der Predigt wird das Dankopfer (Offertorium) eingesammelt. Ursprünglich brachte die Gemeinde an dieser Stelle verschiedene Gaben, z.B. Früchte, Brot und Wein zum Altar. E in Teil des Brotes und Weines wurde für das Abendmahl ausgesondert, die übrigen Gaben erhielten die Armen der Gemeinde (Reste dieses Brauches haben wir heute beim Erntedankfest). Liturgie und Diakonie haben hier ihre gemeinsame Wurzel. An die Stelle der Na turgaben ist heute Geld getreten. Die Gaben (Geld, Brot und Wein) zeigen, daß alles, was wir sind und haben, Gott gehört.
Wie Jesus über Brot und Wein die segnende Danksagung sprach (»er dankte«), so beginnt nun die Mahlfeier mit dem großen Gebet der Danksagung. Die Gemeinde lobt Gott den Vater und dankt ihm dafür, daß er in Christus die Welt mit sich versöhnt hat. Sie »verkü ndet den Tod des Herrn« (1 Kor 1 1,26), sie preist seine Auferstehung, sie wartet auf sein Kommen. Durch dieses Gebet, dessen Kern die Einsetzungsworte Christi bilden, werden Brot und Wein gesegnet und geheiligt (konsekriert): sie werden Mittel der Gemeins chaft mit Christus. Die Danksagung, von der das Abendmahl auch den Namen »Eucharistie« erhalten hat, entfaltet sich in den folgenden Teilen:
- Aufforderung: »Die Herzen in die Höhe! Lasset uns Dank sagen dem Herrn, unseren Gott!«
- Präfation: In diesem Dankgebet wird jeweils, dem (»feierliche Rede«) Kirchenjahr entsprechend, eine Seite des Christusgeschehens hervorgehoben, z.B. an Weihnachten die Menschwerdung Gottes.
- Sanctus: Zusammen mit dem ganzen Kosmos lobt die Gemeinde Gott: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth... «
(Die Reihenfolge der Stücke, mit denen das Gebet der Danksagung nun weitergeführt wird, ist nicht in allen Gemeinden die gleiche:)
Abendmahlsgebet: Anrufung (Epiklese) des Heiligen Geistes, Gedächtnis (Anamnese) des Todes und der Auferstehung Christi, Lobpreis des Dreieinigen Gottes
- Vaterunser: das Gebet, das Christus seine Jünger lehrte
- Einsetzungsworte
Der Friedensgruß, der in vielen Gemeinden vor der Austeilung des heiligen Abendmahls steht, ist der Gruß des auferstandenen Herrn an seine Jünger: »Friede sei mit euch« (Joh 20,19). Der Zuspruch des Friedens Christi räumt alles Trennende hinweg und verbind et die Teilnehmer.
Mit dem Gesang »Christe, du Lamm Gottes« (Agnus Dei) betet die Gemeinde den im Gottesdienst gegenwärtigen Herrn an. Dann treten die Gemeindeglieder zum Altar, um unter der Gestalt von Brot und Wein den Leib und das Blut Christi zu empfangen und sich so mit Christus zu vereinen (Kommunion). Durch die Teilhabe an dem einen Brot werden alle zu einem Leib zusammengeschlossen.
Im Schlußgebet sind Dank für die empfangene Gabe und Bitte um Auswirkung des Sakramentes im Leben miteinander verbunden.
Unverzichtbarer Inhalt der Konfirmandenzeit ist die Abendmahlsunterweisung. Dabei ist es von Vorteil, wenn sich die Konfirmanden schon vor der Konfirmation in die Feier des Abendmahls einleben können. Das geschieht dort leichter, wo das Abendmahl nicht nur im Anschluß an den Predigtgottesdienst gehalten wird, sondern in den Gottesdienst eingebettet ist oder auch als selbständiger Gottesdienst gefeiert wird. In manchen Gemeinden dürfen die Konfirmanden bereits während der Konfirmandenzeit (also vor der Konfi rmationsfeier) das Abendmahl empfangen. So können sie, ohne vor der Gemeinde besonders hervorgehoben zu sein, mit ihm vertraut werden. Von dieser Praxis kann eine Erneuerung der Abendmahlsfrömmigkeit für die ganze Gemeinde ausgehen.
»Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen«, heißt es im Volksmund. Darin ist eine tiefe Weisheit beschlossen. Die Mahlzeit hat es nicht nur mit der Nahrungsaufnahme, mit der Stärkung des Körpers zu tun. Man kann noch über das Sprichwort hinausgehen: Essen und Trinken hält Menschen zusammen. Das gemeinsame Mahl, in unserer Weit seltener geworden, hat eine gesellige Seite: Man trifft sich, man spricht miteinander, man reicht einander zu. Und es wird deutlich, wie man zueinander steht.
Gemeinsames Essen und Trinken spielt auch in den verschiedensten Kulten eine große Rolle. Im feierlichen Mahl wird religiöse Erinnerung vergegenwärtigt. Beim Opfermahl wird die Versöhnung mit Gott erfahren, ein Geheimnis, das über das Erlebnis der tägliche n Mahlgemeinschaft hinausgreift. Auf diesen besonderen Charakter von heiligen Mahlen deutet der saloppe Satz eines Journalisten hin: »Auf alles können Menschen verzichten, aber nicht auf Liebe, Schlaf und Sakramente.« Was ist das Geheimnis des Heiligen Mah les?
In der Gemeinde Jesu Christi hat das feierliche Mahl von Anfang an seinen festen Platz gehabt. Die Urgemeinde hat täglich »einmütig hin und her in den Häusern das Brot gebrochen« (Apg 2,46). Indem die Christen zum »Mahl des Herrn« zusammenkamen, entstand d ie Gemeinde. Denn nicht die Menschen schließen sich hier zusammen, sondern der auferstandene Herr verbindet im Abendmahl die vielen einzelnen zu seinem Leib, zu seiner Gemeinde.
In der allerersten Zeit war das Abendmahl eingebettet in eine Sättigungsmahlzeit, zugleich aber in seiner Besonderheit auch hiervon abgehoben. Da es im Zusammenhang mit dem Sättigungsmahl zu unangemessenem (»unwürdigem«) Verhalten dem Sakrament gegenüber k am, bahnte sich bereits bei Paulus die Trennung beider Handlungen an (1 Kor 11). Die von dem Abendmahl gelöste Sättigungsmahlzeit lebte weiter als Liebesmahl (Agape), eine festliche, mit Gebeten und Gesängen umrahmte Mahlzeit, in der die Liebe zu den Armen in den Vordergrund rückte.
im Abendmahl, das wir heute feiern, laufen mehrere Ströme der Überlieferung zusammen, die im Neuen Testament begründet sind:
- das letzte Mahl Jesu am Abend vor seinem Tod
- die Mahlgemeinschaften des irdischen Jesus
- die Erscheinungsmahle des Auferstandenen
- das Passahmahl im Alten Bund.
a) »In der Nacht, da er verraten ward«, hat Jesus das Abendmahl eingesetzt. Das ist jedem vertraut, der jemals an einem Abendmahlsgottesdienst teilgenommen hat. Denn wie unterschiedlich auch die Formen sind, die das Abendmahl in der Christenheit gefunden h at, die »Einsetzungsworte« sind die gemeinsame Basis geblieben:
Allerdings haben wir keine einheitliche Fassung der Einsetzungsworte; denn die Paulusbriefe und erst recht die Evangelien sind ja erst niedergeschrieben worden, als das Abendmahl schon eine lange Praxis im Gottesdienst der Gemeinde hinter sich hatte. Und d iese Praxis war offenbar nicht einheitlich.
Uns sind die Einsetzungsworte in vier Fassungen überliefert; man findet bei einem Vergleich schnell heraus, daß Mt 26,26-29 und Mk 14,22-25 einander stark ähneln, wie auf der anderen Seite Lk 22,19-20 und 1 Kor 1 1,23-25. Daraus- hat sich die Fassung der E insetzungsworte ergeben, die in Luthers Kleinem Katechismus und im evangelischen Gottesdienst gebraucht wird: »Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach's und gab's seinen Jüngern und sprach: »Nehmet h in und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis.« Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte, gab ihnen den und sprach: »Nehmet hin und trinket alle daraus. Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut, sooft ihr's trinket, zu meinem Gedächtnis.««
Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern, am Abend vor der Kreuzigung gefeiert, ist das erste Abendmahl. Dieses letzte Mahl, überschattet vorn Tod, ist die Grundlage für das heutige Abendmahl.
b) Die Evangelien betonen an vielen Stellen, daß Jesus mit seinen Jüngern und besonders mit »Zöllnern und Sündern« Tischgemeinschaft gehalten habe. Warum ist das so wichtig?
Mk 2,13-17 wird von der Jüngerberufung des Zöllners Levi berichtet (vgl. Mt 9,9-13; Lk 5,27-32). Die Nachfolge verwirklicht sich in auffälliger Weise: Jünger, Zöllner und Sünder halten miteinander ein Festmahl. Jesus aber kommt bei den Frommen in Verruf. I n solchen Mahlzeiten wird die Sendung Jesu sichtbar: er ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Die »geistlich Armen« werden in die Gemeinschaft Jesu, in das Reich Gottes aufgenommen. Die Mahlgemeinschaften sind eine Predigt ohne Wor te. Im Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) wird die Freudenbotschaft, das Evangelium anschaubar. Sinnfälliger Ausdruck für die Vergebung ist das Festmahl (Lk 15, 1).
So wie die Worte Jesu nach Ostern gültig blieben, ja erst ihre eigentliche Kraft entfalteten, so auch seine Tischgemeinschaft mit »Zöllnern und Sündern«. Man kann das Abendmahl verstehen als eine »Fortsetzung« der Mahlzeiten Jesu mit den »Zöllnern und Sünd ern«.
c) Was die Jünger in der Gegenwart des Irdischen erlebt haben, das erfahren sie wieder nach Ostern in der Gegenwart des Erhöhten. Sie feiern aber nicht ein Totenmahl, sie brechen das Brot »mit Freuden«, sie empfangen Heil und Ermutigung am »Tisch des Herrn « und hoffen auf das Mahl der Vollendung am Jüngsten Tage.
Es kann also nicht verwundern, daß die Ostererfahrung der Jünger mit den Mahlzeiten in Verbindung gebracht wird. »... da er mit ihnen zu Tische saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn ... « (Lk 24,30f.), heißt es in der Geschichte von den Emmaus-Jüngern (vgl. auch Joh 21,12f.; Apg 10,41).
d) Das erste Abendmahl steht im Zusammenhang mit dem jüdischen Passahfest (2 Mose 12), dessen Mittelpunkt die Schlachtung des Opferlamms im Tempel und die Festmahlzeit, das Passahmahl, gewesen ist. Die Frage, ob das letzte Mahl Jesu ein Passahmahl war, läß t sich zwar aus der neutestamentlichen Überlieferung nicht eindeutig beantworten, aber es steht fest, daß zur Deutung und zum Verständnis des christlichen Abendmahls schon bald Verbindungen zum Passahfest gezogen wurden. Davon sind auch die Passionsbericht e der Evangelisten geprägt. Wie Gott Israel im alten Bund aus der ägyptischen Knechtschaft geführt hat, so erlöst er durch Christus zu einem neuen Bund. »... denn auch wir haben ein Osterlamm, das ist Christus, für uns geopfert... « (1 Kor 5,7). Im Passahf est ist die Freude über die Befreiung, die Entlastung von Angst und Anfechtung, die Ermutigung zu neuer Hoffnung auf Gottes heilsames Handeln lebendig. So auch im Abendmahl.
Die Gleichsetzung des Brotes und des Weines mit dem Leib und dem Blut Christi hat schon immer das theologische Denken herausgefordert. Doch führte diese Frage in der Alten Kirche nicht zu Spaltungen; denn das antike Denken kannte keinen Gegensatz zwischen Symbol und Wirklichkeit: durch das Symbol (Brot und Wein) hatte man vielmehr an der Wirklichkeit (Leib und Blut Christi) teil. Abendmahlsstreitigkeiten gibt es erst seit dem frühen Mittelalter (9. Jahrhundert), als man anfing, die Wirklichkeit anders zu se hen und zu verstehen. Symbol und Wirklichkeit fallen auseinander, und man versucht, ihr Verhältnis zueinander neu zu erfassen. Die Konfessionen sind hier verschiedene Wege gegangen.
Die Theologen des 12./13. Jahrhunderts, z.B. Thomas von Aquin (1225 bis 1274), unterschieden im Anschluß an den griechischen Philosophen Aristoteles zwischen dem eigentlichen Wesen (»Substanz«) eines Gegenstandes und seiner äußeren Erscheinungsform, seinen Eigenschaften (»Akzidentien«). Wir können uns dies an einem Beispiel klarmachen: Menschen sind sehr verschieden, sie sind groß oder klein, jung oder alt, Mann oder Frau, Schwarze oder Weiße, Europäer oder Asiaten - was sie alle verbindet, ist, daß sie Men schen sind. Mit Hilfe dieser Unterscheidung versuchten die Theologen zu erklären, wieso das Brot der Leib Christi sei.- in ihrer äußeren Erscheinungsweise - modern ausgedruckt: chemisch-physikalisch - bleiben Brot und Wein bestehen, ihrem inneren Wesen nac h aber werden sie durch das Abendmahlsgeschehen in den Leib und das Blut Christi verwandelt. Diesen Vorgang nennt man Transsubstantiation (Wesensverwandlung). Die römisch-katholische Kirche hat sich diese Anschauung zu eigen gemacht, sie bezeichnet den Aus druck Transsubstantiation als »sehr geeignet« und schließt damit andere Ausdrucksformen nicht ohne weiteres aus. Diese Lehre betont die wirkliche Gegenwart Christi im Abendmahl und kann sich dafür auf eine wörtliche Deutung der Abendmahlsworte »Das ist mei n Leib« stutzen; daß sie die Denkformen ihrer Zeit aufnimmt, wird man anerkennen. Der Vorwurf, die römisch-katholische Kirche betrachte den Leib Christi wie ein vorhandenes Ding, trifft wohl manche Anschauungen des einfachen Volkes, nicht aber die Transsub stantiationslehre. Diese betont ausdrücklich, daß man sich den Leib Christi nicht räumlich ausgedehnt vorstellen dürfe. Die kritische Frage, die andere Konfessionen an diese Lehre stellen, lautet: Wird hier nicht das Sakrament in philosophischen Denkformen ausgedeutet, die uns heute nicht mehr zugänglich sind? Sollte man das Geheimnis des Abendmahls nicht besser in Begriffen fassen, die der Bibel näher sind? Besteht bei der Transsubstantiationslehre nicht die Gefahr, daß das Natürliche (Brot und Wein) vom Ü bernatürlichen (Leib und Blut Christi) aufgesogen wird?
Die schärfste Kritik an der Transsubstantiationsiehre kommt von der reformierten Kirche. Die Reformatoren Zwingli 1484-1531 und Calvin 1509-1564 wehrten sich dagegen, Christus im Sakrament »dingfest« zu machen. Ihrer Auffassung nach widerspricht es der Ehr e und der Freiheit Gottes, sich an so irdische Dinge wie Brot und Wein zu binden. So sind für Zwingli Brot und Wein in keiner Weise Mittel der Gegenwart Christi; sie sind Zeichen, die dem Christen helfen, sich an Christus zu erinnern und darin mit den ande ren Glaubenden eins zu sein. Das Abendmahl ist Erinnerungs- und Gemeinschaftsmahl. Die Einsetzungsworte deutet Zwingli so: »Das bedeutet meinen Leib«. Calvin lehnt mit Zwingli zwar eine Bindung Christi an irdische Dinge ab, aber er lehrt im Unterschied zu ihm, daß Christus im Abendmahl wirklich gegenwärtig ist und den Gläubigen seine Gemeinschaft schenkt. Zeichen (Brot und Wein) und Sache (Leib und Blut Christi) sind getrennt, aber es besteht zwischen ihnen ein zeitlicher Parallelismus: Während die Gläubige n Brot und Wein empfangen, werden sie zugleich durch den Heiligen Geist mit Leib und Blut Christi, der im Himmel ist, vereinigt. Dies gilt nur für die Gläubigen; wer nicht glaubt, empfängt nur die äußeren Zeichen. Die reformierte Auffassung, die sich mehr auf Calvin als auf Zwingli stützt, betont, daß Brot und Wein Zeichen sind, die auf eine andere Wirklichkeit hinweisen. Die kritische Frage anderer Konfessionen lautet: Verliert durch die Trennung von Zeichen und Sache nicht das Abendmahl an Bedeutung?
Wie seine ganze Theologie, so hat auch Luthers (1483-1546) Abendmahlslehre. einen seelsorgerlichen Grundzug. Wo ist Gott so für uns da, daß wir ihn erkennen und seine Liebe erfahren können? Das ist die Leitfrage, die Luthers Lehre von Christus wie seine Ab endmahlsauffassung durchzieht. Weil kein Mensch von sich aus zu Gott kommen kann, hängt für Luther alles daran, daß Gott sich in Christus vorbehaltlos in unsere Welt hineinbegeben hat und unser Bruder geworden ist. Die Weise Gottes, sich im Irdischen, in d er Niedrigkeit zu offenbaren, findet Luther wieder im Abendmahl; hier verbindet sich Christus leiblich mit Brot und Wein, um sich den Menschen zu schenken. Luther teilt nicht die Sorge Zwinglis und Calvins, daß durch die Verbindung mit dem Materiellen Gott es Ehre und Freiheit angetastet würde; im Gegenteil: Gott ist so frei, daß er sich binden kann, und seine Ehre besteht gerade in seinem Eingehen in die Welt, in ihre Not und Schande.
Luther hielt streng daran fest, daß es sich im Abendmahl so verhält, wie die Worte Christi sagen: »Das ist mein Leib.« Hinter allen Umdeutungen sah er nur den Hochmut der menschlichen Vernunft, die sich dem Wort Gottes nicht beugen will. In seiner Betonung der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl ging er mit der römisch - katholischen Kirche einig, doch hielt er die Transsubstantiationslehre für einen unangemessenen Versuch, das Geheimnis zu erklären. In seinem eigenen Erklärungsversuch wandte er die E rkenntnis, daß Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, aufs Abendmahl an: wie sich in Christus Gott und Mensch zu einer Einheit verbinden, so verbindet sich Christi Leib und Blut mit dem Brot und Wein zu einer sakramentalen Einheit. Man bezeichnet dies e Auffassung auch als Konsubstantiation. Um das Geheimnis der Gegenwart Christi im Abendmahl zu umschreiben, verwendet man in der lutherischen Kirche häufig drei Verhältnisbestimmungen, die sich gegenseitig aufheben und ergänzen: Christi Leib ist »in, mit und unter« dem Brot gegenwärtig.
»Von dem Abendmahl des Herrn wird gelehrt, daß der wahre Leib und das wahre Blut Christi unter der Gestalt des Brotes und Weines im Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig sind und da ausgeteilt und genommen werden. Die Gegenlehre wird verworfen« (Augsburger Beke nntnis, Art. X).
Der lutherischen Theologie geht es darum, daß der ganze Mensch mit Leib und Seele (nicht nur sein Denken) Gott begegnet. Ein Verweis auf den Glauben kann einen Angefochtenen oder Zweifelnden nicht gewiß machen, das kann nur eine Realität, die von außen an ihn herantritt. Es hat also auch seelsorgerliche Bedeutung, wenn die lutherische Theologie betont, daß Christi Gegenwart im Sakrament weder vom Glauben noch vom Denken des Menschen abhängt.
Die orthodoxe Kirche hat sich am Abendmahlsstreit der drei abendländischen Konfessionen kaum beteiligt. Trotz mancher Einflüsse aus dem Westen ist in ihr das Denken der Alten Kirche lebendig geblieben. Symbole sind für die Orthodoxen immer erfüllt von der Wirklichkeit, die sie bezeugen. Die orthodoxe Kirche lehrt, daß Brot und Wein im Abendmahl Leib und Blut Christi sind; aber sie bindet sich an keine Theorie; das Bewußtsein, daß es sich hier um ein Geheimnis handelt, ist stärker als im Abendland. Die Sakra mente haben in der orthodoxen Kirche übrigens ihren alten Namen »Mysterien« (Geheimnisse) behalten. Ein Mysterium hat immer viele Seiten, es läßt sich in seiner Tiefe nie ausschöpfen. Orthodoxe Theologen haben manchmal den Eindruck, die abendländischen Str eitigkeiten hätten ihren Grund darin, daß jeder jeweils einen Aspekt des Abendmahls überbetont und damit anderes ausschließt. Sie möchten die Christenheit zu einer ganzheitlichen Sicht zurückführen. Die Realität des Sakramentes (röm.-kath. und luth. Kirche ) und seinen geistlichen Charakter (reformierte Kirche) empfinden sie nicht als Gegensatz; der Heilige Geist nimmt die Materie in seinen Dienst. Das zeigt sich in der orthodoxen Liturgie. Hier spielt die Epiklese, die Anrufung des Heiligen Geistes, eine wi chtige Rolle. Der Priester bittet, der Heilige Geist möge Brot und Wein heiligen, daß sie Leib und Blut Christi werden. Orthodoxe Theologen vergleichen diese Anrufung des Heiligen Geistes gern mit seinem Wirken bei der Menschwerdung Gottes. Im Gebet um den Heiligen Geist bringt die Kirche zum Ausdruck, daß sie über das Sakrament nicht verfügen will, sondern vor Gott immer als Bittende steht. In neuerer Zeit haben auch die Kirchen des Abendlandes die Anrufung des Heiligen Geistes in ihre Abendmahlsliturgie a ufgenommen
Seit der Reformation wird diese Frage immer wieder diskutiert. In der Abendmahlspraxis der mittelalterlichen Kirche hatte sich der Akzent vom Handeln Gottes am Menschen auf das Handeln des Menschen vor Gott verlagert. Daß das Abendmahl ein Mahl ist, war vi elen nicht mehr deutlich, sie sahen es an als ein Opfer, das der Priester Gott darbrachte, um für verschiedene Zwecke, vor allem für die Verstorbenen, Gottes Gnade zu erlangen. Hiergegen protestierten alle Reformatoren energisch. Sie wiesen auf das eine Op fer Christi hin, das er für die ganze Welt am Kreuz vollbracht habe und das keine Ergänzung durch ein menschliches Werk dulde.
Auf dem Konzil von Trient (1545-1563) präzisierte die römisch-katholische Kirche ihre Auffassung und lehrte: Das Opfer im Abendmahl (Meßopfer)ist eine Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers. Dennoch blieb der Gegensatz noch lange bestehen. Erst seit die ökume nische Bewegung das Verhältnis der Kirchen entkrampfte, begann man auf beiden Seiten wieder über diese Frage sachlich nachzudenken. Katholische Theologen betonen heute stärker den Mahlcharakter, während evangelische Theologen die Berechtigung des Opfergeda nkens erkennen. Schon die Abendmahlsworte des Neuen Testaments sind mit der Vorstellung eines Opfers verbunden: die Trennung von Leib und Blut weist auf das Sterben Jesu hin; das »Blut des Bundes« deutet auf ein »Bundesopfer«; in die gleiche Richtung weist die Bezeichnung Jesu als ein »Passahlamm«. In folgendem Sinne bezeichnen manche evangelischen Theologen heute das Abendmahl auch als ein Opfer:
- Im Abendmahl wird das Opfer Christi am Kreuz für uns gegenwärtig.
- Im Abendmahl bringt die Gemeinde in Lied und Gebet, im Bekenntnis und im Einsammeln der Gaben Gott das »Lob- und Dankopfer« (vgl. Hebr 13,15-16) dar.
- Brot und Wein stehen stellvertretend für die ganze Schöpfung. Sie werden Gott gleichsam zurückgebracht. Dadurch bekennt die Gemeinde, daß alles Gott gehört.
- Gottes Liebe in Christus erweckt, wenngleich keimhaft, unsere Liebe. Glaube an Gott bedeutet, sich ihm öffnen und hingeben.
- Nur in der Teilhabe am Opfer Christi bekommt das Opfer des Christen, sei es die Hingabe des Herzens, der Dienst an der Welt (vgl. Röm 12,1), das Lob Gottes seinen Sinn. Losgelöst davon entsteht das Mißverständnis, als ob wir vor Gott eine Leistung bringe n könnten. Wenn wir im Abendmahl mit unserer Hingabe vor Gott treten, dann tun wir das nur »durch Christus«, das heißt unter Bezugnahme auf seine Hingabe. Nur so bleibt klar, daß wir als uns Hingebende immer Empfangende bleiben. Sich hingeben heißt letztli ch: sich öffnen, um ihn zu empfangen.
Der Opfergedanke ist auch im evangelischen Liedgut beheimatet: »Lasset uns singen, / dem Schöpfer bringen / Güter und Gaben; / was wir nur haben, / alles sei Gotte zum Opfer gesetzt! / Die besten Güter sind unsre Gemüter; / dankbare Lieder / sind Weihrauch und Widder, an welchen er sich am meisten ergötzt« (Paul Gerhardt, EKG 346, 3).
»Nichts kann ich vor Gott ja bringen / als nur dich, mein höchstes Gut; / Jesu, es muß mir gelingen / durch dein heiliges, teures Blut« (J. H. Schröder, EKG 259,6).
Der Streit um das Verständnis des Abendmahls wie auch andere dogmatische Streitigkeiten führten dazu, daß sich die Kirchen die Gemeinschaft im Sakrament aufkündigten. Viele Christen empfinden dies als ein Ärgernis. So gibt es, vor allem seit dem vorigen Ja hrhundert, verschiedene Bemühungen um die Abendmahlsgemeinschaft. Ein Hauptargument kehrt dabei häufig wieder: Das Abendmahl ist eine Einladung Christi, es ist nicht Besitz der Kirche; deshalb kommt es nicht so sehr auf das Verständnis des Abendmahls an.
Nach den territorialen Veränderungen der Zeit von 1803-1815 gab es in Deutschland kaum noch konfessionell einheitliche Länder. Manche evangelischen Fürsten, die ja Oberhaupt der in ihrem Gebiet lebenden Protestanten waren, versuchten nun, für ihr Land eine einheitliche protestantische Kirche aufzubauen. Die Theologie der Aufklärung (18. Jahrhundert), die die Konfessionsunterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten weithin eingeebnet hatte, kam ihnen hierbei zugute. In manchen Ländern versuchte man, die Einheit mit Hilfe eines Lehrkompromisses (Unionsurkunde) herzustellen, in anderen setzte der Fürst einfach gemeinsame Verwaltung und Gottesdienstordnung durch. Gegner wurden unterdrückt. Nun hatte man zwar die protestantische Einheitskirche, aber unter de r Decke schwelten die alten Gegensätze weiter, weil sie nie sachlich ausgetragen worden waren.
Die Einsicht, daß theologische Unterschiede nicht übergangen werden dürfen, sondern aufzuarbeiten sind, führte zu Lehrgesprächen von Theologen verschiedener Konfessionen. In den Verhandlungen suchte man einen Kompromiß zwischen den verschiedenen Standpunkt en. Man fand Formeln, die für beide annehmbar waren. So geschah es z. B. in den Arnoldshainer Abendmahlsthesen von 1957, die Ergebnis des Gesprächs lutherischer, reformierter und unierter Theologen Deutschlands sind. Hinterher stellte sich allerdings herau s, daß die gefundene Formel verschieden gedeutet wurde; damit kam der Gegensatz wieder hervor.
In der ökumenischen Bewegung. wird in letzter Zeit mehr und mehr die Auffassung vertreten, daß Einheit der Kirche weder Einför. migkeit noch organisatorische Zusammenfassung bedeutet. Man redet hier von »Gemeinschaft zwischen Kirchen«. Die einzelnen Kirche n bleiben ihrem Bekenntnis, ihrer Ordnung und ihren gottesdienstlichen Traditionen verpflichtet, aber sie stellen in den Grundlagen ihrer Lehre ausreichende Gemeinsamkeiten fest, so daß sie Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft vereinbaren können. Die Einigun g, die in einem Dokument (Konkordie) formuliert wird, beschränkt sich auf zentrale Lehren der Kirche: Evangelium und Sakramente. Wenn hier Klarheit herrscht, so brauchen andere Unterschiede, etwa im Gottesdienst, in der Frömmigkeit, im theologischen Denken nicht mehr zu trennen, sie können eine Bereicherung darstellen. Die Leuenberger Konkordie (Leuenberg/Schweiz 1973) versucht so, Gemeinschaft zwischen den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen Europas zu erklären; wieweit die gewonnene Grundlage tra gfähig ist, muß die Zukunft zeigen.
Für die Zulassung zum Abendmahl gelten in der lutherischen und in der römisch-katholischen Kirche verschiedene Bestimmungen. Während die lutherische Kirche römisch-katholischen Christen gastweise den Zugang zum Abendmahl eröffnet, läßt die römisch-katholis che Kirche Christen anderer Konfessionen nur in seltenen Ausnahmefällen zu. In Lehrgesprächen ist hier weitergearbeitet worden, so daß die »Gemeinsame röm.-kath./evang.-luth. Kommission« in ihrem Dokument »Das Herrenmahl« (1979) Übereinstimmungen in wichti gen Punkten feststellen konnte. Es handelt sich hierbei um theologische Stellungnahmen, die noch der Billigung durch die Kirchenleitungen der beteiligten Konfessionen bedürfen. Die Aufkündigung der Gemeinschaft zwischen den Kirchen ist ein geschichtlicher Akt gewesen. Neue Gemeinschaft kann durch theologische Deutung allein nicht hergestellt werden, sie erfordert Buße, Einsicht und Bekenntnis des gemeinsamen Glaubens auf beiden Seiten.
Die klassische Auffassung, die bisher von der römisch-katholischen, der anglikanischen, der lutherischen Kirche vertreten wurde und bis heute von den orthodoxen Kirchen streng festgehalten wird, ging davon aus, daß das Abendmahl Ausdruck der Einheit des Gl aubens sei. Deshalb konnte man erst dann an einem Altar kommunizieren, wenn man im Glauben eins war. Die ökumenische Bewegung, vor allem unter der Jugend, wehrte sich gegen diese Sicht und behauptete: Das gemeinsame Abendmahl schafft die Einheit über alle Unterschiede hinweg. Heute sehen Theologen in vielen Kirchen das Abendmahl zugleich als Zeichen und als Mittel der Einheit an.
Jesus Christus ist gegenwärtig, wo Christen in seinem Namen und gemäß seiner Einsetzung das heilige Abendmahl feiern. Die Lehre über das Abendmahl und die Form der Feier dürfen aber der Verheißung Christi, hier real gegenwärtig zu sein, nicht widersprechen , sie sollen vielmehr ein Zeugnis hiervon sein. Deshalb darf die Bemühung um Abendmahlsgemeinschaft die theologischen Lehrunterschiede nicht verharmlosen.
Was das Abendmahl für die Christen bedeutet, läßt sich nicht in einen Begriff fassen; es ist ein Geheimnis, unausschöpfbar in seiner Bedeutungstiefe. Es steht »im Schnittpunkt aller großen Wirklichkeiten, mit denen wir es im Glauben zu tun haben« (Holländi scher Katechismus). Aus der Fülle der Bedeutungen seien die wichtigsten genannt:
Die Einsetzungsworte klingen wie ein Testament, wie die letzte Weisung eines Sterbenden. »Solches tut zu meinem Gedächtnis«, heißt es zweimal. Es wäre ein völliges Mißverständnis, wenn man diesen Worten nur entnehmen wollte: Vergeßt mich nicht, denkt an di e Zeiten meiner Gegenwart, haltet mein Gedächtnis wach! Dann wäre das Abendmahl ein feierliches Totengedenken, wie etwa am Todestage eines Verstorbenen die Hinterbliebenen zusammenkommen und sich erinnern.
Das Abendmahl ist alles andere als ein Totenmahl. Der, dessen die Gemeinde gedenkt, ist ja in ihrer Mitte anwesend. Er ist gegenwärtig nicht als ein bloßer Gedanke, sondern geprägt durch seine Geschichte: als Kind in der Krippe, als Verurteilter am Kreuz, als von Gott Auferweckter. Was sich in der Zeit nachher abgespielt hat, ist im Abendmahl wie im Brennpunkt einer Linse zusammengefaßt. Denn »Gedächtnis« meint in der Bibel nicht, daß wir uns an ein vergangenes Ereignis erinnern, sondern daß dieses vergange ne Ereignis für uns Gegenwart wird. Das Heilsgeschehen der Vergangenheit wird im Abendmahl zeichenhaft vergegenwärtigt, und so wirkt es über den Abstand der Jahrtausende in unsere Zeit hinein. Das geschieht, weil »Jesus Christus gestern und heute und derse lbe auch in Ewigkeit« (Hebr 13,8) ist.
Im Abendmahl wird aber nicht nur das vergangene, sondern auch das zukünftige Heilsgeschehen Gegenwart. Wir hoffen darauf, daß Christus das vollenden wird, was er angefangen hat, daß er die Welt zum Ziele führt. Als Unterpfand dieser Hoffnung ist uns das Ab endmahl gegeben. In der Bibel wird die ewige Gemeinschaft mit Gott häufig im Bilde des Hochzeitsmahles ausgedruckt. Das Abendmahl ist ein Vorgeschmack der künftigen Freude und der Gemeinschaft mit Gott.
Das »Gedächtnis« im Abendmahl ist zugleich Lobpreis und Danksagung. Daher trägt das Abendmahl schon im Neuen Testament den Namen »Eucharistie« (Dank). Wie Jesus Brot und Wein nahm und »dankte«, so tritt die Gemeinde mit Brot und Wein vor Gott, um ihn zu lo ben und ihm zu danken für Jesus Christus, für seinen Tod und seine Auferstehung. So ist das Abendmahl eine Feier der Freude.
»Mein Leib, für euch gegeben - mein Blut, für euch vergossen« - diese Worte Jesu weisen auf die Hingabe seines Lebens hin, und zwar in doppeltem Sinne:
- Jesus bleibt bis zum Tode Gott treu, der ihn gesandt hat. Am Kreuz gibt er Gott sein Leben hin. In der Hingabe des Lebens vollendet sich seine Liebe zum Vater.
- Indem Jesus sein Leben hingibt, tut er es stellvertretend für die, die Gott ihr Leben verweigern. Er stirbt für uns und schließt damit den »neuen Bund« zwischen Gott und Mensch: »Dieser Kelch ist das neue Testament (= Bund) in meinem Blut« (1 Kor 11,25). So erweist er seine Liebe zu uns, und in ihm erkennen wir Gottes Liebe.
Mit der Hingabe seines Lebens erfüllt Jesus selbst in einzigartiger Weise das Gebot, Gott und den Nächsten zu lieben. Diese doppelte Hingabe wird in der Bibel mit Begriffen wiedergegeben, die dem alttestamentlichen Opferkult entnommen sind. So wird der Kre uzestod Jesu als »Opfer« und als »hohepriesterlicher Dienst« beschrieben. Vom Kreuzesgeschehen übertrug man diese Begriffe auch auf das Abendmahlsgeschehen
Was im Lebensopfer Jesu am Kreuz geschah, wird für uns im Abendmahl greifbar. Indem Jesus uns seinen geopferten Leib und sein vergossenes Blut gibt, nimmt er uns in die am Kreuz geschehene Versöhnung Gottes mit den Menschen hinein und schenkt uns damit die Vergebung unserer Schuld. So erhalten wir Frieden mit Gott, Leben und Hoffnung
»Was nützt denn solch Essen und Trinken? Das zeigen uns diese Worte: >Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden(; nämlich, daß uns im Sakrament Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit durch solche Worte gegeben wird; denn wo Vergebung der S ünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit« (Luther, Kleiner Katechismus).
Liebe ist etwas Gegenseitiges. Jesu Hingabe für uns am Kreuz ruft uns in seine Nachfolge und wartet auf unsere Hingabe an ihn und unseren Mitmenschen. Menschen, die die Liebe Christi dankbar angenommen haben, haben immer wieder erfahren, daß er in uns die Kraft zur Hingabe erweckt.
Wer am Abendmahl teilnimmt, tritt in die Gemeinschaft Christi, aber zugleich in eine menschliche, brüderliche Gemeinschaft. So sagt Paulus ausdrücklich: »... Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist's, so sind wir viele ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind« (1 Kor 10,16f). Das Abendmahl ist das Sakrament der Einheit. Diese Einheit gründet sich auf das Teilhaben an dem einen Brot und damit an dem einen Christus und nicht auf die Gleichhei t der Rasse, des Volkes, der sozialen Herkunft, der Bildung oder der Sympathie. So stellt das Abendmahl dar, was das Wesen der Kirche ist. Durch das Essen des Leibes Christi werden ganz verschiedene Menschen zu seinem Leib, zur Gemeinde zusammengeschlossen . Damit ruft es uns, Schranken unter Menschen abzubauen. Die Gemeinschaft mit Christus im Brot und im Wein und die menschliche Gemeinschaft durch das gemeinsame Essen und Trinken im Abendmahl sind keine Selbstverständlichkeit. Wir können sie nicht durch En tschlußkraft und eigenen Willen herstellen. Darum beten wir um den Heiligen Geist (Epiklese = Anrufung des Heiligen Geistes), daß er uns zu neuen Menschen macht und uns durch Brot und Wein die Gemeinschaft mit Christus schenkt:
»Herr, wir bitten dich: Sende herab auf uns den Heiligen Geist; heilige und erneuere uns an Leib und Seele und gib, daß wir unter diesem Brot und Wein deines Sohnes wahren Leib und Blut im rechten Glauben zu unserm Heil empfangen.«
Alles, was wir über das Abendmahl gesagt haben, hängt daran, daß in ihm Jesus Christus für uns da ist und an uns handelt. In jedem Abendmahl ist der auferstandene Herr selbst, das heißt: sein Leib und Blut unter der Gestalt des Brotes und Weines in unserer Mitte gegenwärtig, so daß wir immer aufs neue dessen gewiß werden dürfen, daß er - seiner Verheißung gemäß - bei uns bleibt. Die Gegenwart Christi im Abendmahl ist zunächst nicht Gegenstand der Diskussion, sondern ein Geschehen, daß man erleben muß. Daß w ir in so schlichten Dingen wie Brot und Wein die Nähe Gottes erfahren, ist ein Geheimnis, das sich nur dem erschließt, der sich davon ergreifen läßt. Es ist hier wie in allen Lebensvorgängen: das Leben ist dem Denken voraus. Wenn ich einem Freund meine Pro bleme sage, vertraue ich darauf, daß er schweigen kann. Ich nehme an einem Essen teil, ehe ich die Speisen chemisch untersucht habe. Jede Begegnung erfordert einen »Treuevorschuß«. Das Denken soll keinesfalls ausgeschaltet werden, es ist aber der zweite Sc hritt. Auch der Glaubende möchte das verstehen, was er glaubt. Er fragt sich hinsichtlich des Abendmahls: Wie können Brot und Wein Leib und Blut Christi sein? Obgleich das Abendmahl einzigartig ist, gibt es im menschlichen Leben vergleichbare Vorgänge, bei denen einer seine Hingabe durch materielle Dinge ausdrückt.
Die folgenden Beispiele sind keine Erklärung der Gegenwart Christi im Abendmahl, sie sollen nur vergleichbare Vorgänge zeigen: Wer einem anderen, den er gern hat, etwas schenkt, möchte damit seine Zuneigung und Liebe ausdrucken. Er legt gleichsam ein Stück seiner selbst in das Geschenk und übergibt es dem anderen. Jesus ist im Abendmahl ganz für uns da, so sehr, daß er sein Leben hingibt. Und darum kann er auch seine ganze Liebe, sein ganzes Leben, sich selbst, in ein Stück Brot und einen Schluck Wein hinei nlegen. Er identifiziert sich damit. Und so werden Brot und Wein, wenn er sie ergreift, zum Mittel seiner Hingabe, zum Mittel der Gemeinschaft zwischen ihm und uns: sein Leib und sein Blut.
Ein weiterer Erklärungsversuch geht aus von der Erfahrung, daß die Dinge für den Menschen jeweils in einem verschiedenen Sinnzusammenhang stehen und daß dieser Zusammenhang ihr Wesen ausmacht. Ändert er sich, dann »ist« der betreffende Gegenstand auch etwa s anderes. Ein Stück Papier, das die Notenbank mit bestimmten Zeichen bedruckt, bleibt damit zwar Papier, wird aber zu etwas Neuem: zu einer Banknote mit einem bestimmten Wert. Diesen Wandel, der zugleich ein Wandel des Wesens ist, bezeichnet man als Besti mmungswandel (Transfinalisation) oder Bedeutungswandel (Transsignifikation).
»Ein solcher Bedeutungswandel findet nun auch statt, wenn die Speisen des Mahles, zu dem Jesus lädt, zu Zeichen und Mitteln der Gemeinschaft mit ihm und damit auch mit der Zukunft Gottes werden ... dieser Bedeutungswandel hat unüberholbaren, eschatologisch en Sinn, Endgültigkeit, und bezeichnet daher das endgültige Wesen desjenigen Brotes und Weines, das oder der als Speise dient in der Mahlgemeinschaft, zu der Jesus lädt« (Pannenberg).
Natürlich ist auch dies nur ein Versuch, dem Denken einen Weg zum Abendmahlsgeschehen zu zeigen. Dieser Versuch hat den Vorteil, daß er Zeichen und Sache wieder als eine Einheit sieht und damit den Realismus des Abendmahls bezeugt.
Für viele steht vor dem Abendmahlsgang die Frage: Bin ich würdig?
Es ist wichtig, den Abschnitt 1 Kor 1 1, 1 7-34 im Zusammenhang zu lesen. Denn viele Mißverständnisse haben dort ihren Ausgang genommen: »Welcher nun unwürdig von diesem Brot isset oder von dem Kelch des Herrn trinket, der ist schuldig an dem Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst ... « Das Wort »unwürdig« ist hier nicht im moralischen Sinn zu verstehen. Es geht also nicht um die Frage: Bin ich ein sündiger Mensch? Sondern es geht um die Frage: Bin ich mir darüber im klaren, daß es im Ab endmahl um die Begegnung mit Christus geht und nicht um eine Sättigungsmahlzeit? Wer diesen Unterschied nicht macht, verhält sich dem Abendmahl gegenüber nicht angemessen, er handelt »unwürdig«. Und schließlich ist daran gedacht, daß bei einer Abendmahlsfe ier die Gemeinschaft der Abendmahlsgäste nicht durch liebloses Verhalten zerstört werden darf. Wer das Abendmahl so feiert, daß ein Teilnehmer gekränkt wird oder sich ausgestoßen fühlt, der ist »unwürdig«; denn er zerstört die Gemeinde, die Christus durch das Abendmahl schaffen will.
Niemand ist von sich aus würdig, das Abendmahl zu feiern. Wer meint, er müsse erst ein »guter Mensch« sein, ehe er an den Tisch des Herrn treten könne, der hat die Warnung des Paulus falsch verstanden. Wer sich scheut, wie ein »Zöllner oder Sünder« zu komm en, der geht wahrscheinlich von unchristlichen Maßstäben aus. Aber es ist eine gute Sitte, das eigene Leben vor dem Angesicht Gottes zu prüfen, ehe man zum Abendmahl geht. Unwürdig ist der Satte, der Selbstgerechte, der seines Glaubens und seines Lebens al lzu Sichere. Luther sagt im Kleinen Katechismus: »Der ist recht würdig und wohlgeschickt, der den Glauben hat an diese Worte >für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden<. « Im Umgang mit dem Abendmahl haben sich unnötige Gegensätze herausgebil det; die einen meinen, die Schuldbilanz, die in der Beichte vor dem Abendmahl aufgerollt werde, habe dem ganzen einen düsteren Anstrich verliehen und vertrage sich nicht mit dem Freudencharakter. Die anderen meinen, die Erfahrung von Freude und Hoffnung we rde tiefer und echter, wenn auch die Arbeit an der Schuld vorausgegangen sei. Es wäre gut, eine neue Sitte der Vorbereitung zu finden, die beides miteinander verbindet. Die Kirche bietet Hilfen für die Begegnung mit der eigenen Schuld: die Einzelbeichte, d ie Allgemeine Beichte, das Sündenbekenntnis zu Beginn des Gottesdienstes. Christen, die häufiger, etwa sonntäglich, zum heiligen Abendmahl gehen, erfahren, daß der Gedanke an unsere Schuld das Abendmahl zu einer Feier der Freude und Befreiung werden lassen kann.
Der reformierte Heidelberger Katechismus (1563) antwortet auf die Frage: »Welche sollen zum Tisch des Herrn kommen? Die sich selbst um ihrer Sünden willen mißfallen und doch vertrauen, daß dieselben ihnen verziehen und die übrige Schwachheit mit dem Leiden und Sterben Christi bedeckt sei; begehren auch, je mehr und mehr ihren Glauben zu stärken und ihr Leben zu bessern. Die Unbußfertigen aber und Heuchler essen und trinken sich selbst das Gericht« (Frage 81).
In neueren Formen, z. B. dem »Feierabendmahl«, werden der Umgang mit der Schöpfung, die Gemeinschaft der Feiernden und die Verantwortung für die Nöte der Welt stark hervorgehoben. Brot und Kelch werden hierbei von einem zum andern weitergereicht; kleinere Gruppen feiern das Abendmahl auch am Tisch. Manchmal schließt sich an die Sakramentsfeier ein Abendessen (Agape = Liebesmahl) an. Mancher hat durch diese Gestalt der Feier die Gemeinschaft neu erfahren. Aber die Gemeinschaft im Abendmahl hängt nicht an der Sitte des Weiterreichens. Sie ist (auch beim Empfang in den Mund) dadurch gegeben, daß wir alle an dem einen Leib Christi teilhaben. Die Art der Feier hängt von der Teilnehmerzahl, von der Zusammensetzung der Gemeinde und vom Raum ab. Manchen eröffnen die neuen Formen wieder einen Zugang zum heiligen Abendmahl, andere befürchten, daß über der Betonung der menschlichen Gemeinschaft die Verbindung mit Christus zu kurz kommt.
Für Christen, die in ihrer Gemeinde regelmäßig am Abendmahl teilnehmen, wird das Sakrament in Zeiten der Krankheit eine besondere Stärkung sein. Es hilft ihnen, im Blick auf das Kreuz Christi ihr Leiden zu tragen und neue Hoffnung zu schöpfen. Deshalb soll ten Kranke das Abendmahl nicht erst »in der letzten Minute«, sondern während ihrer Krankheit öfters empfangen. Sterbende erhalten es als »Wegzehrung« auf dem Weg, den sie nun gehen. Das äußere Zeichen des Sakramentes kann für sie ein Halt sein. Sie erfahre n leibhaftig, daß sie von Gott angenommen sind, auch wenn ihr Bewußtsein schwächer wird. Das Abendmahl will den durch Krankheit Ausgeschlossenen aus seiner Isolierung herausbringen und ihn der Gemeinschaft mit Christus und der Gemeinde versichern. Es ist h ilfreich, wenn sich mit dem Kranken eine kleine Haus- oder Nachbarschaftsgemeinde versammelt. Vielleicht gewinnt das Abendmahl dadurch einige urchristliche Lebenselemente zurück. Einem Brauch der Alten Kirche entsprechend wird den Kranken in manchen Gemein den das Abendmahl direkt aus dem Gottesdienst ans Krankenbett gebracht. So halten sie nicht eine eigene Feier für sich, sondern nehmen an der Mahlfeier der Gemeinde teil.
Symbole können uns eine Hilfe bei der Feier des Abendmahls sein. Wir können z. B. beim Abendmahl knien und dadurch ausdrucken, daß wir uns in Demut vor Gott beugen, wenn er uns die große Gabe seiner Gegenwart gibt. Natürlich hängt davon die richtige Feier des Abendmahls nicht ab. Und auch das Stehen kann seinen Sinn haben: In der Urchristenheit hat man an Tagen der Freude stehend gebetet.
Der Empfang der Kommunion mit dem Mund will besagen, daß der Empfangende hier nicht aus eigener Leistung Gott als Partner entgegenkommt, sondern daß er wie ein Kind, das sich seine Speise noch nicht selbst nehmen kann, die göttliche Gabe empfängt. Die Hand kommunion betont dagegen stärker den Charakter der mündigen Partnerschaft.
In lutherischen Kirchen ist es üblich, beim Sprechen der Einsetzungsworte Patene (Teller) und Kelch zu erheben und das Kreuzzeichen darüber zu schlagen. Damit wird betont auf die Elemente hingewiesen und gezeigt, daß Gott in solcher Niedrigkeit wie Brot un d Wein Wohnung nehmen will.
Der festliche Freudencharakter des Abendmahls wird in einigen lutherischen Gemeinden dadurch betont, daß der Pfarrer zur Abendmahlsfeier einen weißen Überwurf (Albe) über den Talar zieht. Dieser Brauch hat sich in einigen mitteldeutschen Städten (Leipzig, Zwickau, Eisenach, Weimar) und manchen Gegenden Württembergs erhalten. Viele lutherische Kirchen in Skandinavien, Amerika, Afrika und Asien gebrauchen festliche, z. T. farbige Gewänder.
Wenn Brot und Wein durch die Bänke gereicht werden, ist damit die Gemeinschaft, die alle Versammelten umschließt, betont.
Das Brotbrechen beim Abendmahl deutet darauf hin, daß alle an dem einen Brot Anteil haben sollen (1 Kor 10,16); zugleich weist es auf Kreuzigung und Sterben Jesu Christi hin.
Seit Oktober 1974 gewähren sich diejenigen lutherischen, reformierten und unierten Kirchen in Europa, die die Leuenberger Konkordie angenommen haben, gegenseitig Abendmahlsgemeinschaft. Die Treue zum eigenen Bekenntnis soll dabei gewahrt werden. Über das V erständnis des Gottesdienstes und die Abendmahlspraxis müssen noch Lehrgespräche geführt werden. Lutherische, reformierte und unierte Christen in Deutschland dürfen also grundsätzlich als zum Abendmahl der jeweils anderen Kirchen eingeladen betrachten. Im Einzelfalle werden folgende Hinweise bedenkenswert sein:
- wo durch Verkündigung und Handlung bezeugt wird, daß Brot und Wein Leib und Blut Christi sind,
- wo die Gemeinde alle, auch die, die einer anderen Kirche angehören, einlädt,
- wo ich dadurch der eigenen Gemeinde kein Ärgernis und keinen Anstoß gebe.
»Die Worte, die unser Herr Jesus Christus beim Reichen des Brotes und des Kelches spricht, sagen uns, was er selbst in diesem Mahle allen, die hinzutreten, gibt: Er, der gekreuzigte und auferstandene Herr, läßt sich in seinem für alte in den Tod gegebenen Leib und seinem für alle vergessenen Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein von uns nehmen und nimmt uns damit kraft des Heiligen Geistes in den Sieg seiner Herrschaft, auf daß wir im Glauben an seine Verheißung, Vergebung der Sünden, Leben un d Seligkeit haben« (These 4).
»Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen; der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht« (Abschnitt 18).
(Gemeinsame römisch-katholische/evangelisch-lutherische Kommission)
In der Gedächtnisfeier des Gottesvolkes geschieht mehr, als daß man sich verflossene Ereignisse mit dem Erinnerungsvermögen und der Phantasie vergegenwärtigt. Das Entscheidende ist nicht, daß man sich Vergangenes ins Gedächtnis ruft, sondern daß der Herr s ein Volk in seine Gegenwart ruft und mit seiner Heilstat konfrontiert. In diesem schöpferischen Handeln Gottes wird das Heilsgeschehen aus der Vergangenheit Heilsangebot für die Gegenwart und Heilszusage für die Zukunft (Abschnitt 36). »Wir bezeugen, daß J esus Christus, wahrer Gott und Mensch, im Sakrament des Abendmahls voll und ganz mit seinem Leib und seinem Blut unter dem Zeichen von Brot und Wein gegenwärtig ist« (II. 1. b).
(Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen)
Die eucharistische Gemeinschaft mit dem gegenwärtigen Christus, der das Leben der Kirche stärkt, ist zugleich auch die Gemeinschaft im Leibe Christi, der Kirche. Das Teilhaben am eitlen Brot und gemeinsamen Kelch an einem bestimmten Ort macht deutlich und bewirkt das Einssein der hier Teilhabenden mit Christus und mit den anderen mit ihnen Teilhabenden zu allen Zeiten und an allen Orten. In der Eucharistie findet die Gemeinschaft des Volkes Gottes ihre volle Darstellung. Eucharistische Feiern haben es immer mit der ganzen Kirche zu tun, wie auch die ganze Kirche an jeder einzelnen Feier der Eucharistie beteiligt ist.
Nach den überkommenen Ordnungen unserer Kirche dürfen Kinder in der Regel erst nach der Konfirmation am Abendmahl teilnehmen. In manchen Gemeinden hat sich der Brauch gebildet, daß die Konfirmanden während der Abendmahlsunterweisung schon das Mahl mit der Gemeinde feiern können. Andere überlegen, ob nicht auch schon Kinder das Abendmahl feiern dürfen. In einer Handreichung der VELKD heißt es: »Glaube, der die Gabe des Heiligen Abendmahls empfängt und die Fähigkeit der Unterscheidung einschließt, ist auch Ki ndern möglich. Kinder, die getauft sind, können nicht grundsätzlich von der Teilnahme am Heiligen Abendmahl ausgeschlossen werden. Auch lassen weder die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche noch die frühreformatorischen Kirchenordnungen eine Bindung der Erstzulassung an ein bestimmtes Lebensalter erkennen.
Glaube verlangt auch bei den Kindern Verstehen. Die erwachsenen Christen sind dafür verantwortlich, das Verstehen der Kinder zu fördern und das Hineinwachsen in den Gottesdienst und in die Abendmahlsfeier zu begleiten.«
An einigen Orten hat sich der Brauch gebildet, daß die Kinder mit den Eltern bei der Austeilung an den Altar treten. Während die Eltern das Sakrament empfangen, werden die Kinder durch Auflegung der Hand gesegnet. Auf diese Weise werden sie an der gottesdi enstlichen Feier beteiligt.
Weiterführende Literatur
Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission: Das Herrenmahl, 1979.
Jeremias, Joachim: Die Abendmahlsworte Jesu, 1967.
Lotz, Walter: Das Mahl der Gemeinschaft, 1977.
Viele Aufgaben, die ein Pfarrer heute wahrnimmt, sind ihm im Laufe der Zeit zugewachsen. In der Frühzeit der Kirche waren die verschiedenen Funktionen auf verschiedene Personen verteilt. Es gab nicht einen, der alles machen mußte. Wir sind heute dabei, die Konzentration aller kirchlichen Aktivitäten auf den Pfarrer zu überwinden und zu einer besseren Verteilung der Aufgaben zu gelangen. Damit stellt sich aber die Frage: Welche Aufgaben soll der Pfarrer behalten, welche soll er abgeben? Wenn es in der Kirche wesentlich um den Glauben geht, dann sind alle Funktionen, die dem Entstehen oder dem Wachstum des Glaubens dienen, für die Kirche unverzichtbar. Man kann sie nicht dem Zufall überlassen, sie müssen öffentlich ausgeübt werden. Die Kirche muß also Menschen beauftragen, die für diese Aufgabe verantwortlich sind. Weil der Glaube aus dem Hören (Röm 10,14 ff.) kommt, gehört die Verkündigung der Botschaft von Christus zu den wichtigsten Aufgaben des Pfarrers. Diese Verkündigung geschieht auf verschiedene Weise: in der Predigt, in der Unterweisung, im Gespräch, in Gemeindeseminaren, in Zeitung, Rundfunk und Fernsehen. Die Verkündigung ist allen Christen aufgetragen, der Pfarrer hat kein Monopol hierfür, er ist aber in besonderer Weise dafür verantwortlich, daß das heutige Reden der Kirche mit dem Urzeugnis, wie es in der Bibel. niedergelegt ist, übereinstimmt. Dies gilt auch dann, wenn im Einzelfall diese Übereinstimmung mit dem Urzeugnis infolge »verschiedener Theologien« nicht immer erkennbar ist.
Der christliche Glaube ist nicht eine private Weltanschauung, er zielt auf Gemeinschaft. Deshalb gehören die Sakramente neben der mündlichen Verkündigung notwendig zur Kirche. Durch die Taufe wird man in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen, und im Aben dmahl wird die Gemeinschaft mit Christus und untereinander immer wieder erneuert. Weil Taufe und Abendmahl auf die gesamte Gemeinde bezogen sind, ist die Verantwortung für die Sakramente dem Pfarrer übertragen (im Notfall kann jeder Christ die Taufe vollzi ehen).
Das Abendmahl ist das Mahl der Einheit: indem wir den Leib Christi empfangen, werden wir zu einem Leibe zusammengeschlossen (1 Kor 10,16f.). Weil das Abendmahl Sache der ganzen Gemeinde ist, wird es von dem geleitet, der von der Gemeinde dazu beauftragt is t, vom Pfarrer. Er repräsentiert die Einheit der Gemeinde.
Weil es im christlichen Glauben um die Annahme des Menschen durch Gott und deshalb auch um die gegenseitige Annahme der Menschen geht, sind Seelsorge und Beichte wichtige Aufgaben der Christen. Jeder Christ soll den, der etwas auf dem Herzen hat, anhören u nd ihm Trost zusprechen. Dieses Trostamt der Gemeinde muß an einer Stelle immer erreichbar sein. Deshalb ist der Pfarrer zur Seelsorge berufen. Gegenwärtig bemüht man sich, die Ausbildung der Pfarrer zur Seelsorge zu verbessern. Dabei können Erkenntnisse d er Humanwissenschaften, z. B. Psychologie und Soziologie, für die Aufhellung des Einzelfalles wertvolle Dienste leisten, aber nicht seelsorgerliches Handeln ersetzen.
Das Augsburger Bekenntnis von 1530 setzt das Amt der Bischöfe mit dem der Pfarrer gleich und sagt davon: »Nun lehren die Unsern also, daß die Gewalt der Schlüssel oder der Bischöfe sei, laut des Evangeliums, eine Gewalt und Befehl Gottes, das Evangelium zu predigen, die Sünde zu vergeben und zu behalten und die Sakramente zu reichen und zu handeln. Denn Christus hat die Apostel mit diesem Befehl ausgesandt. Joh 20: >Gleichwie mich mein Vater gesandt hat, also sende ich auch euch. Nehmet hin den Heiligen Gei st... (« (Art. 28).
Das Vaterunser, das in jedem Gottesdienst gebetet wird, enthält die Bitte »vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern«. In vielen Gemeinden beginnt der Gottesdienst mit einem Sündenbekenntnis (Confiteor), dem eine Bitte um Vergebung oder ein Zuspruch der Gnade folgt. Als eigene Feier, meist vor dem Abendmahlsgottesdienst oder in Verbindung mit dem Abendmahl, gibt es die gemeinsame (oder allgemeine) Beichte. Hier werden die Beichtenden ausdrücklich aufgefordert, das Sündenbekenntnis m it ihrem Ja-Wort zu bekräftigen. Daraufhin erteilt ihnen der Pfarrer die Absolution.
»Allmächtiger Gott, barmherziger Vater, ich armer, elender, sündiger Mensch bekenne dir alle meine Sünde und Missetat, die ich begangen mit Gedanken, Worten und Werken, womit ich dich jemals erzürnt und deine Strafe zeitlich und ewiglich verdienet habe. Si e sind mir aber alle herzlich leid und reuen mich sehr, und ich bitte dich um deiner grundlosen Barmherzigkeit und um des unschuldigen bitteren Leidens und Sterbens deines lieben Sohnes Jesus Christus willen, du wollest mir armem, sündhaftem Menschen gnädi g und barmherzig sein, mir alle meine Sünden vergeben und zu meiner Besserung deines Geistes Kraft verleihen. Amen.«
Ein Sündenbekenntnis aus unserer Zeit:
»Herr, du hast die Weit so geliebt, daß du dich in unser Leben, ja in unseren Tod hineingegeben hast. Wir bekennen dir, daß wir dir diese Liebe zu wenig gedankt haben. Oft haben wir nur an uns, unser Recht und unsere Anerkennung gedacht, aber nicht daran, was unseren Mitmenschen an Recht, Anerkennung und Verständnis zukommt. Herr, vergib uns unsere Schuld und wandle unsere harten Herzen durch die Macht deiner Güte. Amen.«
Früher hatte die gemeinsame Beichte vor dem Abendmahlsgang ihren festen Ort in der Gewohnheit der Kirche. Wichtige theologische Erwägungen haben sie jetzt voneinander getrennt, weil der Ernst der Buße häufig die Freude im Abendmahl überdeckte. Mit dieser T rennung von Abendmahl und Beichte ist in vielen Gemeinden die Beichte nun nahezu unbekannt geworden. Manche Pfarrer und Gemeindeglieder betrachten diese Entwicklung mit Sorge und sehen darin eine religiöse Verarmung. Eine ähnliche Entwicklung kann heute au ch in der römisch-katholischen Kirche beobachtet werden. Schließen Freudencharakter des Abendmahls und Bußcharakter der Beichte sich gegenseitig aus? Verleiht nicht gerade die Vorfreude auf ein kommendes Ereignis die Kraft, unaufgearbeitete Reste und alte Schuldposten aufzuräumen?
Man kann sich auf die persönliche oder gemeinsame Beichte vorbereiten, indem man das eigene Leben vor dem Doppelgebot der Liebe prüft: Habe ich Gott über alle Dinge geliebt? Habe ich meinen Nächsten geliebt wie mich selbst? Mancher wird auch einfach an den Zehn Geboten. entlanggehen und sich fragen, wie er mit der von Gott gegebenen Freiheit (l. Gebot), der ständigen Beziehung zu Gott im Gebet (2. Gebot), dem öffentlichen Bekenntnis zu Gott im Gottesdienst (3. Gebot), den beruflichen und öffentlichen Pflich ten (4. Gebot), dem Leben und der Gesundheit anderer (5. Gebot), der Ehe (6. Gebot), dem Eigentum (7. Gebot), der Wahrhaftigkeit (8. Gebot), der Begehrlichkeit (9. und 10. Gebot) umgegangen ist.
»Gottes Gebote sind ein Spiegel. Gott will, daß wir uns selbst erkennen. Dazu bedarf es eines unbestechlichen Maßstabes. Niemand erkennt sich selbst, der nur das sieht, was er sehen will. Wenn wir selbst unser Spiegel sein wollen, enden wir bei der Schmeic helei oder bei der Verzweiflung« (Asmussen).
Eine Hilfe zur Selbstbesinnung und Selbstprüfung vor dem Angesicht Gottes nennt
man einen Beichtspiegel. Hier ein Beispiel:
Worauf verläßt du dich in deinem Leben? Auf deine Arbeitskraft, dein Geld, deine geistigen Gaben, deine Beziehungen, deine Anständigkeit und Frömmigkeit, deine Bekehrung?
Wovor fürchtest du dich? Vor Menschen und Mächten, vor Krankheit, Not und Mißerfolgen, vor dem Altern und Sterben?
Wem gehört dein Herz? Einem Menschen, einer Leidenschaft, deiner Arbeit, deiner Familie, der Welt der Kunst und Wissenschaft? Und wenn Gott dir das nimmt, was dann?
Was bedeutet dir der Name »Gott«? Gebrauchst du ihn gedankenlos in deiner Rede? Hast du Angst, dich vor anderen zu ihm zu bekennen? Gibst du dich frömmer, als du bist? Benützt du Gottes Namen als Mittel, um übersinnliche Kräfte in deinen Dienst zu bringen?
Wodurch ist dein Gebet bestimmt? Von der Gewohnheit, so daß es leer und kraftlos ist; von der Bequemlichkeit, so daß es selten geschieht?
Warum betest du? Um deinen Willen bei Gott durchzusetzen? Um dich in ein religiöses Erlebnis hineinzusteigern? Hältst du an am Gebet, auch wenn Gott dich nicht zu erhören scheint?
Hast du Gott immer gedankt, auch für die Anfechtungen? Für die Vergebung deiner Sünde? In der Not und in der Freude?
Wie sieht dein Sonntag aus? Suchst du Zerstreuung und Betrieb oder Stärkung für Leib und Seele, Ruhe und Freude?
Welche Rolle spielen Gottesdienst und Abendmahl in deinem Leben?
Meidest du sie etwa, weil du dich nicht von einer sündlichen Bindung lösen willst?
Was suchst du in der Kirche? Gottes Ehre oder deine Erbauung? Anbetung oder Feierlichkeit? Gottes Wort oder einen ansprechenden Prediger?
Welche Bedeutung haben die Bekenntnisse der verschiedenen Konfessionen für ein gemeinsames Grundverständnis des Evangeliums? Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Funktion eines Bekenntnisses. Im Bekenntnis und in ihrer Praxis drückt eine Kirche ihr Grundv erständnis des Evangeliums aus. Das Bekenntnis kann schriftlich formuliert und rechtlich verpflichtend sein, es kann aber auch - wie bei vielen Freikirchen - unausgesprochen dem Reden und Handeln einer Kirche zugrunde liegen. Das Bekenntnis zeigt den Konse nsus, das heißt die Übereinstimmung im Inhalt des Evangeliums; es ermöglicht die Kooperation innerhalb einer Kirche.
Seit den ältesten Zeiten der Kirche schließt das Bekenntnis zu Christus immer eine Abgrenzung gegen andere Anschauungen in sich. Auch wenn in der Geschichte der Kirche das Abgrenzen manchmal übertrieben wurde, grundsätzlich darauf verzichten kann man nicht . Die Frage ist nur die: Wo verläuft die Grenze zwischen dem Evangelium und seiner Verfälschung? Wir haben heute einen Blick dafür bekommen, daß das Evangelium nicht identisch ist mit einer bestimmten Theologie einer bestimmten Kirche. Das Evangelium läßt verschiedene Ausprägungen zu, die auch - wie schon im Neuen Testament - in Spannung zueinander stehen. Die Frage ist: Wo schlägt die fruchtbare Spannung in unversöhnlichen Gegensatz um? Heute bestellen die Hauptunterschiede im Verständnis des Evangeliums o ft nicht mehr in erster Linie zwischen den Konfessionen, sondern innerhalb jeder einzelnen Konfession.
In der ökumenischen Bewegung sieht man zuweilen die Bekenntnisse und Dogmen der einzelnen Kirchen als die größten Hindernisse auf dem Weg zur Einheit an. Diese Sicht ist aber zu negativ; denn im Bekenntnis drückt eine Kirche aus, wovon sie lebt und was der Maßstab für ihr Lehren und Handeln ist. Das Bekenntnis ist nicht einfach ein Gedankengebäude, sondern es hat eine bestimmte kirchliche Praxis zur Folge. So führt z. B. die lutherische Auffassung von der wirklichen Gegenwart Christi im Abendmahl zu einer e ntsprechenden liturgischen Gestaltung dieser Feier. In der Praxis kommt das Bekenntnis zum Ausdruck. Die Alte Kirche drückte diesen Zusammenhang aus durch den Grundsatz: »Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens« (lex orandi - lex credendi).
Für die Einheit der Kirche gibt es verschiedene Modelle. Zwei davon seien als Beispiele genannt:
»Konziliare Gemeinschaft«: Die Gemeinden der verschiedenen Konfessionen schließen sich auf Ortsebene jeweils zu einer vereinigten Kirche zusammen. Diese verschiedenen vereinigten Ortskirchen treten dann auf Weltebene untereinander in Gemeinschaft. Nach die sem Konzept gelten die konfessionellen Unterschiede als Hindernis der Einheit, sie sind deshalb auf Ortsebene zu beseitigen; die bleibenden Unterschiede zwischen den vereinigten Kirchen wären dann mehr geschichtlicher, kultureller und nationaler Art.
» Versöhnte Verschiedenheit«: Dieser Entwurf geht davon aus, daß jede Konfession ihren eigenständigen Beitrag für die ganze Christenheit leisten kann und soll. Die Verschiedenheiten sollten deshalb nicht einfach eingeebnet, sondern miteinander versöhnt und - als versöhnte Verschiedenheiten - bewahrt werden. Damit es dazu kommen kann, muß sich jede Konfession wandeln und erneuern. Sie muß bei sich jene Entstellungen, Verengungen und Überspitzungen beseitigen, die einst zur Trennung geführt haben, und sich de n anderen als rechtmäßige, aber besondere Ausprägung des einen Glaubens erweisen. Das Ziel ist die gegenseitige Bejahung des anderen in dem, was gerade er einzubringen hat, und damit die Versöhnung. Das kann nur geschehen im Gespräch, in dem jeder den ande ren und sich selbst besser kennenlernt. Wenn dies gelingt, dann erweisen sich die Verschiedenheiten als verschiedenartige Bezeugungen des einen Evangeliums und haben darum keine trennende Kraft mehr. Dann ist die Gemeinschaft da und muß praktiziert werden: im Abendmahl, in der Verkündigung, im geistlichen Amt, in Diakonie und gesellschaftlichem Einsatz. Als ein Versuch in dieser Richtung versteht sich die Leuenberger Konkordie.
Diese Seite ist von Andreas Walter im April '97 gestaltet.
Andreas Walter
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